Sagimülitäli

Sagimülitäli und Bözberg – Geschichte einer Rettung

Die Schliessung der letzten Autobahnlücke zwischen Zürich und Basel war ein Kraftakt

Am 17. Oktober 1996 wurde das Teilstück Birrfeld-Frick der Autobahn N 3 eröffnet. Der Schliessung der letzten Nationalstrassenlücke zwischen Zürich und Basel gingen eine 25 Jahre lange Kontroverse um die Linienführung und eine achtjährige Bauzeit voraus. Leidenschaftlich wurde darüber gestritten, ob die Autobahn über oder durch den Bözberg führen solle. Schliesslich siegte die Durchstichvariante.

HANS-PETER WIDMER*

In der langen Auseinandersetzung standen acht Linienführungsvarianten zur Diskussion. Erste Skizzen Ende der 1950er Jahre sahen eine Autobahnführung über den Bözberg mit einer tiefliegenden Querung des Aaretals bei Villnachern und einem kurzen Scheiteltunnel bei Linn vor. Diese Idee wurde jedoch rasch durch Pläne mit einer Aaretal-Hochbrücke südwestlich von Umiken und einem Geländeeinschnitt nahe der Linner Linde abgelöst. Bei der Projektauflage entbrannte sofort ein heftiger Streit, ob der 1’500 Meter lange und 60 Meter hohe Viadukt vom Galgenhübel bei Hausen zum Bözbergsüdhang unterhalb der Vierlinden landschaftsverträglich sei oder nicht.

Illustration Julien Gründisch, volle Grösse im Faltflyer rechts

Der «Autobahnkrieg»

Die tangierten Gemeinden Hausen, Umiken, Unterbözberg und Linn opponierten. Sie unterstützten einen neuen Vorschlag des Badener Ingenieurs Dr. Josef Killer, die N 3 nicht über, sondern durch den Bözberg zu führen. Die Öffentlichkeit stand Tunnelbauten wegen den Bau- und Betriebskosten aber skeptisch gegenüber. Auch die Strassenbauer von Kanton und Bund empfahlen die Hochbrückenvariante. Doch die Aargauer Regierung und der Bundesrat schwenkten 1969 auf die Tunnellösung um. Dagegen wehrten sich die neu betroffenen Gemeinden Lupfig, Scherz, Schinznach-Bad und Schinznach-Dorf.

Weil die Kosten der Tunnellösung gegenüber der Hochbrückenvariante nochmals anwuchsen, verlangte der Bundesrat 1974 einen neuen Projektvergleich. Das Gutachten ergab Gleichwertigkeit in Bezug auf Technik und Umweltbelastung, aber Vorteile für die Hochbrückenvariante punkto Kosten und Bauzeit. Die Bevölkerung diskutierte leidenschaftlich über Pro und Kontra. Aktionskomitees hüben und drüben kämpften für ihre Standpunkte – es war vom «Autobahnkrieg» die Rede. Expertisen noch und noch versuchten Klärung zu schaffen. Der Regierungsrat liess sich nicht mehr umstimmen. Und auch der Bundesrat stützte 1980 mit der Genehmigung des generellen Projekts definitiv die Tunnellösung.

Aber während das Bauprojekt ausgearbeitet wurde, ging das Ringen um die Linienführung weiter. Die Bad Schinznach AG, die eine Beeinträchtigung der Kuranlagen und die Gefährdung der Thermalquelle befürchtete, legte mit Naturschutz-Organisationen eine «Verständigungsvariante» vor. Diese wollte den Bözbergtunnel nach Norden verschieben. Dadurch wäre jedoch der damals hochgeheime unterirdische Kommandoposten der Grenzbrigade 5 durchstossen worden – was man nicht bekanntmachen durfte. Es blieb bei der geplanten Tunnelachse. Ein weiteres Gutachten bezeichnete das Kontaminationsrisiko für die Thermalquelle als «nicht nichtig», aber bei vorsichtigem Tunnelvortrieb als vertretbar.

Beschwerden bis vor Bundesgericht

Die Auflage des Bauprojekts für die Gesamtstrecke Birrfeld-Frick erfolgte 1982 in Etappen. Die einzelnen Abschnitte stiessen auf unterschiedlichen Widerstand. Auf der Fricktaler Seite gab es wenige Einwände gegen das Teilstück Frick-Effingen, das schon bald für den Baubeginn freigegeben wurde. Hingegen «hagelte» es mehr als 200 Einsprachen gegen das Bözbergtunnel-Projekt und den Abschnitt Aaretal-Birrfeld mit dem Habsburgtunnel. Der Regierungsrat machte weitere Zugeständnisse in Bezug auf Lärmschutz und Schonung der Landschaft; an der Linienführung hielt er fest.

35 Einspracheentscheide wurden an das Bundesgericht weitergezogen. Dieses trat grösstenteils nicht auf die Beschwerden ein und lehnte es ab, die aufgeworfenen Fragen materiell zu beantworten. Somit waren die Rechtsverfahren 1985 abgeschlossen. Neue planerische und ökologische Erkenntnisse sowie einige Wiedererwägungsgesuche und Verbesserungsanträge bewogen jedoch den Regierungsrat zu einer nochmaligen Beurteilung zentraler Fragen.

Das führte zu zwei wichtigen Korrekturen: Zur Achsverschiebung und Verlängerung des Bözbergtunnels um 600 Meter, wodurch das Sagimülitäli von der Autobahnführung verschont blieb; und zu einer 500 Meter langen Überdeckung der N 3 im Schinznacherfeld zur Schonung der Kulturlandflächen. Diese Änderungen waren nachhaltig – aber hochriskant. Denn der Bund verlangte nochmals eine begrenzte Projektauflage, was den Baubeginn erneut hätte verzögern können. Vier neue Einsprachen wurden aber nach Verhandlungen zurückgezogen. So stand im Oktober 1987 dem Baubeginn nichts mehr im Weg,

Herausfordernde Grossbaustellen

Die Erstellung der 19,0 Kilometer langen Strecke Birrfeld-Frick dauerte acht Jahre. Dabei wurden 2,57 Millionen Kubik Erdmaterial bewegt. Grösste Bauobjekte waren der 3,7 Kilometer lange Bözbergtunnel, der 1,5 Kilometer lange Habsburgtunnel, der 450 Meter lange Schinznacherfeld Tunnel, die 1'230 Meter lange Brücke über den Schinznacher Schachen und die Aare sowie das Anschlussbauwerk Lupfig. Zudem wurden rund 6 Kilometer Bäche verlegt, 10,5 Kilometer Verkehrswege neu trassiert, 28 Überführungen, Unterführungen und Bachdurchlässe sowie 23 kleinere Bauwerke erstellt.

Neueste Methoden der Tunnel- und Brückenbau-Technik kamen zur Anwendung. Die Bauleute wurden auch mit Überraschungen konfrontiert. So war die Geologie des Wülpelsberges für den Habsburgtunnel viel heikler, als die Sondierbohrungen voraussagten. Dagegen liess der Vortrieb des Bözbergtunnels die Therme von Bad Schinznach unbehelligt, aber das von einem Polier zufällig entdeckte Einsickern von aggressivem Tiefengrundwasser gefährdete den langfristigen Bestand des Bauwerks und zwang zur nicht vorgesehenen Abdichtung der Innenschalung.

Am 5. September 1991 durchstiessen die Tunnelbohrmaschinen den Bözberg und zwei Wochen später den Wülpelsberg. Nach diesen sichtbaren Zeichen des Baufortschritts nahmen weniger spektakuläre Bauarbeiten weitere fünf Jahre in Anspruch, bis die N 3 am 17. Oktober 1996 eröffnet werden konnte.

Die beste aller Varianten

Das lange Ringen um die Autobahnführung offenbarte den Konflikt zwischen den Mobilitätsansprüchen der Gesellschaft und der Schutzbedürftigkeit der Natur aufs deutlichste. Das erlebten fünf Aargauer Baudirektoren, unter ihnen Regierungsrat Ulrich Siegrist, der letzte, nachhaltige Projektverbesserungen erwirkte. Dazu gehörte der Verzicht auf den N 3-Halbanschluss Schinznacherfeld, der einen Verkehrs- und Zersiedelungsschub links der Aare verhinderte.  Zu den bedeutendsten landschaftsschonenden Massnahmen zählten die Rettung des Sagimülitälis – heute ein wertvoller Teil des 2012 gegründeten Juraparks Aargau –, und die Erstellung des Viaduks statt eines Damms im Schinznacher Schachen, mit einem neu angelegten aquatischen Lebensraum unter der elegant geschwungenen Brücke.

Im Rückblick auf den «Autobahnkrieg» sagt der heutige Aargauer Baudirektor Stephan Attiger: «Mensch und Natur sind froh, dass die Pläne der N 3 nicht so umgesetzt wurden, wie ursprünglich vorgesehen». Gewinner seien die heutige und kommende Generationen. Die Rettung des Sagimülitälis sei ein Musterbeispiel für eine erfolgreiche, regional getragene Nachhaltigkeitspolitik, die alle Aspekte berücksichtige: Wirtschaft, Umwelt, Gesellschaft. «Heute ist das eine Selbstverständlichkeit, damals war es eine Pionierleistung.»

* Hans-Peter Widmer hat die Geschichte der N 3 als ehemaliger Redaktor und Aargau-Chef von Aargauer Tagblatt und Aargauer Zeitung sowie als Grossrat und Vizeammann von Hausen mitverfolgt.